Über die Ebru-Kunst. Ein Beitrag von Mutlu Yilmazer.
Künstlerischer Ansatz: Seit tausenden Jahren wird die alte Kunsttechnik „Ebru“ in verschiedensten Kulturen stilreich angewendet und entwickelt. Sie verbreitete sich vermutlich im Laufe der Geschichte von Japan (wo sie bis heute bekannt ist als „Suminagashi“) nach China, und Indien. Dann verlief die Reise über Persien nach Anatolien und von dort aus ab dem 18. Jahrhundert nach Europa, wo fast jede Druckerei ein Ebru-Atelier besaß. Ebru wurde damals als Bezugsmaterial für Bücher benutzt. Im osmanischen Reich wurden Ebru-Bilder als Hintergrund für Kalligrafie und Koranverzierungen verwendet. Auch haben Sultane zu dieser Zeit wichtige Schriftstücke mit Ebru verziertem Hintergrund versandt, um Fälschungen zu vermeiden. Zur Zeit der Gründung der türkischen Republik gehörte Ebru zu den vergessenen Künsten. Durch die Bemühungen einiger Meister konnte diese Kunst bis heute aufrechterhalten werden. In den letzten 15 Jahren ist sie in der Türkei wieder sehr populär geworden, allerdings dominieren dort eher die traditionellen Blumen-Motive. Das Grundprinzip der Ebru-Technik basiert darauf, zunächst Farben auf einer Wasseroberfläche schwimmen zu lassen. Dabei gelten Gesetze der Physik und der Chemie. Anschließend werden die entstandenen Farbmuster auf Papier abgezogen. Auch weitere Materialien wie Leder, Holz, Stoff etc. können genutzt werden. Traditionellerweise werden bis heute noch Materialien wie Pinsel aus Pferdehaar, Ochsengalle und Erdpigmente benutzt. Die auf Wasser schwimmenden Farben können auf unterschiedliche Arten beeinflusst werden; zum Beispiel die Farbwahl, die Farbmenge und ihre Reihenfolge, so wie die Nutzung zusätzlicher Materialien wie ein Metallstab oder Kamm, verschiedene Papierarten und die Bewegung des Papiers beim Abzug. Aus meiner Sicht bietet die sogenannte Ebru-Wanne einen Mikrokosmos, der jegliche Eigenschaften von Wasser beinhaltet. Somit spiegeln diese Dynamiken sich im Resultat wider und ermöglichen uns auch psychedelische, außerirdische, multidimensionale, non-figurative und fraktale Figuren zu erschaffen. Ich glaube, dass aus dieser Perspektive betrachtet, Ebru-Bilder als zeitgenössische Kunst bezeichnet werden könnten. Sie erwecken im Auge des Betrachters manchmal unbekannte und fremde Gefühle, die schwer in Worte zu fassen sind. Ich spiele ein besonderes Instrument „Ney“, das meine Denkweise und meinen Lebensstil tiefgründig verändert hat. Während meines Ney-Unterrichts, im Jahre 1999 in Izmir, mit meinem Meister und Mentor Sencer Derya in einem Antiquariat in der zweiten Etage eines denkmalgeschützten alten Gebäudes, liefen dort auch Ebru-Kurse. In den Räumlichkeiten befanden sich vom Ebru-Meister Nuri Pinar und seinen Schülern Werke, die zum Trocknen ausgelegt waren. Zu der Zeit verliebte ich mich in die wundervolle Ebru-Kunst. Ney und Ebru sind daher in meinem Herzen und Gedächtnis untrennbar miteinander assoziiert. Einige Jahre später wollte ich diese Kunst auch erlernen. Lerne von allem etwas und von Einem alles (vollständig), sagte mein Ney Lehrer und hatte mir empfohlen, erst mal bei meinem Instrument zu bleiben. 2002 zog ich nach Deutschland und bekam erst 2007 die Gelegenheit an einem traditionell türkischen Ebru-Kunst-Unterricht teilzunehmen. Am Rumi Kunst Institut Rotterdam, geleitet von Dr. Refii Kileci, habe ich mein zweistufiges Zertifikat erworben. Daraufhin habe ich sofort die dafür nötigen Materialien besorgt und angefangen zu Hause in der Küche zu üben. Seit 2010 experimentiere ich in meinen ca. 30qm großen Bunker-Keller Atelier. Ich finde, dass einerseits Tradition sehr wichtig ist, um das Weltkulturerbe zu bewahren. Andererseits hat jeder große Meister etwas Neues entwickelt, erfunden und neue Perspektiven geschaffen, die vorerst als unorthodox galten. Mit dem Motto, “Nimm das Erbe auf, benutze es und entwickle es“ habe ich zwei neue Techniken durch mein Experimentieren gefunden und versuche mit Neugier und Spannung in meiner Wanne, auf den Farben weiterzusurfen und zu entdecken. Trotz Beeinflussung des Künstlers, entsteht das Bild durch die Wasserdynamik zu 99 Prozent aus Zufall, was die phänomenale Frage aufkommen lässt, „wer eigentlich der Schöpfer des Werkes ist.“ Der geistige Zustand des Künstlers interagiert mit dem Wasser und beeinflusst das Werk. Zur Zeit versuche ich diese Interaktion zur vertiefen.